„Um die Schweizer Wohnungsnot zu bekämpfen – bereits 2026 werden voraussichtlich über 50.000 Wohnungen fehlen, was bei einer Bevölkerung von knapp neun Millionen Bürgern eine Menge ist -, reicht es nicht aus, einfach mehr Wohnungen zu bauen, sie müssen auch bedarfsgerecht sein“, sagt der Schweizer Immobilien-Profi Michael Oehme (60) aus St. Gallen, Inhaber mehrerer Ostschweizer Immobilienunternehmen.
Das Wichtigste in Kürze:
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Michael Oehme (60), Immobilienexperte aus St. Gallen, betont bedarfsgerechtes Bauen zur Bekämpfung der Wohnungsnot und baut vor allem große Wohnungen mit Home-Office.
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Studie des Schweizer Bundesamts für Wohnungswesen (2024) ergibt: Mehrheit will Büro und kann auf Kinderzimmer verzichten.
- Bis 2026 fehlen voraussichtlich über 50.000 Wohnungen in der Schweiz.
Bedarfsgerecht wohnen in der Schweiz
Was heißt bedarfsgerecht? Was brauchen beziehungsweise wünschen sich Herr und Frau Schweizer wirklich?
Das Bundesamt für Wohnungswesen aus Bern hat zu dieser Frage eine Studie (Online-Befragung von 1.097 Schweizern im Februar/März 2024) bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Auftrag gegeben, die am 6. Juni 2024 veröffentlicht wurde:
- Home-Office: 61 Prozent aller Befragten möchten zukünftig ein Büro in den eigenen vier Wänden. Auch über das Arbeitsleben hinaus.
- Kinderzimmer: 23 Prozent der „Empty Nester“, also Personen, deren Kinder ausgezogen sind, könnten auf das Kinderzimmer verzichten.
- Wohnungsgröße: 70 Prozent der Befragten sagen, dass eine Verkleinerung des Wohnraums keine Option ist. Ein Zimmerüberschuss von zwei Zimmern, das heißt: Zwei Zimmer mehr, als Personen im Haushalt leben, scheint die ideale Wohnungs-/Hausgröße zu sein.
Scoredex.com fragte den Berater und Unternehmer Michael Oehme: Herr Oehme, was bedeutet das für die privaten Wohnungsbauunternehmen, die am Markt bestehen wollen?
Michael Oehme: „Wir bauen überwiegend große Wohnungen mit eigenem Büro in der Wohnung.“
Home-Office macht auch abgelegene Gegenden attraktiv
Scoredex.com: Warum hilft das gegen Wohnungsknappheit?
Michael Oehme: „Dadurch werden auch Wohnungen attraktiv, die nicht direkt in einem bereits stark verdichteten Zentrum liegen. Ein Hauptgrund der Wohnungsverknappung ist ja, dass die Schweizer vom Land in Ballungsgebiete ziehen. Die zunehmende Wohnungsnachfrage in den Zentren und deren Peripherie ist laut dem Beratungsunternehmen Wüest Partner AG aus Zürich zu 67 Prozent auf den sogenannten Wanderungssaldo zurückzuführen. Gemeint ist damit nicht nur die Zuwanderung aus dem Ausland, sondern auch aus anderen Kantonen.
Weitere 24 Prozent sind mit dem gestiegenen Wohlstand und einem Individualisierungstrend zu begründen. Und schließlich lässt sich der Wohnungsmangel auch mit dem gestiegenen Alter erklären. Doch es sind nicht nur die älteren Menschen, deren Quadratmeterverbrauch wächst. Darauf verweist auch Ursina Kubli, leitende Immobilienexpertin der Zürcher Kantonalbank. Viele wollen eben auch Raum für Hobbys, Besuch oder fürs Home-Office.“
Michael Oehme baut in der Ostschweiz am Bodensee – warum?
Der langjährige Immobilien-Berater leitet seit Anfang 2024 mehrere Immobilien- bzw. Bauträgerunternehmen in St. Gallen, die sich auf die Ostschweiz am Bodensee konzentrieren.
Michael Oehme: „Weil hier die Projektentwicklungskosten wesentlich geringer sind als beispielsweise am Zürichsee, aber die Renditepotentiale gleich hoch sind. Was die Stakeholder und Investoren freut und die Mieter ebenso. Die Pipeline umfasst dabei ausschließlich Neubau-Immobilien-Projekte im Umfeld von St. Gallen bzw. im Kanton Thurgau in der Ostschweiz.
Michael Oehme sieht geringen Druck und Anreiz für Umzug
Scoredex.com: Die durchschnittliche Wohnfläche in Schweizer Mietwohnungen steigt mit dem Alter deutlich an. Raiffeisen Schweiz schlägt vor, dass eine bessere Nutzung des Wohnraums die Wohnungsnot entschärfen könnte. Eine effizientere Verteilung würde zusätzlich 170.000 Mietwohnungen à 100 Quadratmeter freisetzen.
Michael Oehme: „Fehlende finanzielle Anreize begünstigen eine ineffiziente Nutzung des Wohnraums, da viele ältere Personen in zu großen Wohnungen leben, während sich der Umzug in kleinere Wohnungen oft als finanziell unrentabel erweist. Claudia Zeni von ZENI Immobilien Zürich rechnete Anfang des Jahres auf LinkedIn vor: ‚In den größten Städten der Schweiz (Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich) kostet eine typische Vier-Zimmer-Altbauwohnung in bestehenden Mietverhältnissen rund 1.900 Franken im Monat. Kommt eine solche Wohnung neu auf den Markt, kostet sie rund 2.300 Franken, also rund ein Fünftel mehr.‘
Laut Raiffeisen Schweiz vom Juni 2024 nutzen die ‚Empty Nester‘ ihr Potenzial zur Verkleinerung aber nur begrenzt. So geht der Umzugsdruck weniger von zu großen als vielmehr von zu kleinen Wohnungen aus. Sozialer Druck ist ebenfalls nur begrenzt vorhanden. Nur jede dritte befragte Person findet, dass ältere Paare oder Alleinstehende in zu großen Wohnungen ihren Wohnraum für jüngere Familien freigeben sollen. Zudem verhindern bei Personen, die eigentlich bereit wären, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, finanzielle Anreize einen Umzug. Die Neumiete für kleinere Wohnungen ist beispielsweise oftmals teurer als die Bestandsmiete der größeren Wohnung, die man bereits seit längerer Zeit bewohnt.
‚In den nächsten Jahren dürften die Neumieten angesichts der sich weiter zuspitzenden Wohnungsknappheit weiter stark steigen, wodurch diese Fehlanreize nochmals verschärft werden. Mit Blick auf ökologische und soziale Gesichtspunkte braucht es neue mutige Anreize, um ein Downsizing attraktiver zu machen‘, sagt Raiffeisen Chefökonom Fredy Hasenmaile.“
Scoredex.com: Herr Oehme, wir danken für das Interview.
Immobilienexperte über Schweizer Immobilienmarkt
Michael Oehme erklärte, dass große Wohnungen mit Home-Office auch abgelegene Gegenden attraktiver machen und zur Lösung der Wohnungsproblematik beitragen könnten. Er weist schon länger darauf hin, dass explodierende Mieten und ineffiziente Nutzung von Wohnraum durch fehlende Anreize verschärft werden, was auch in Deutschland und der Schweiz zu unterschiedlichen Herausforderungen für Mieter und Käufer führt.
Lesen Sie auch eine Analyse von Michael Oehme, warum die Schweizer Immobilienbranche 2024 insgesamt weiter boomt, während Deutschland einen gravierenden Einschnitt verzeichnet, auf dem Portal MichaelOehme.com.
Eine weitere Analyse von Michael Oehme, warum es dennoch für Wohnungssuchende in der Schweiz immer enger wird, finden Sie auf BerlinJournal.biz.
(Autor Frank Maiwald)
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